Bei Lützelflüh im Emmental
Die Anfänge des
Emmentals verlieren sich im waldigen Dunkel tiefer Gräben. Mit ihren von Karrenfeldern durchzogenen Kalkwänden und -zinnen grüssen Schrattenfluh und Hohgant aus dem Hintergrund auf ein zerfurchtes Hügelland herab. An steilen Halden kleben Bauernhäuser und ihre Nebengebäude. Es sind eher Berggüter als Talgehöfte. man wunder sich, dass auf so abschüssigen Feldern überhaupt gepflügt werden kann. Wo dann der kleine Talfluss, die Emme, nach und nach all seine Bäche gesammelt hat und weniger eilig über das Geröll und die grossen Steinblöcke in seinem Bett hinwegsetzt, verlieren die Hügel an Höhe. Das Tal weitet sich zur waldumkränzten Mulde. Ein grossflächiges Mosaik von saftiggrünen Wiesen, Roggen- und Weizenäckern, Hafer-, Kartoffel- und Kleefeldern breitet sich weich über die Sohle. Die Höfe beginnen sich hinter gepflegten Obstgärten zu verbergen. Stattliche Dörfer wachsen in die Breite. Die Emme aber fliesst immer noch grösstenteils zwischen alten Weiden, Erlen und Tannen hindurch, die üppig ihr Ufer säumen. Das Emmentaler Gehöft lässt sich aus diesem Naturparadies nicht wegdenken. Innen und aussen aus dem Holz der nahen Wälder gefügt, verschmilzt es mit seiner Umgebung. Zu Wohnhaus, Scheune und Stall unter dem weit vorspringenden Walmdach gesellt sich der reich verzierte Speicher, und etwas abseits steht das Stöckli, in das sich die Eltern zurückzogen, wenn der Hof an den jüngsten Sohn übergegangen war. Unter diesen Dächern lebt noch heute jener Bauernschlag, den Jeremias Gotthelf (Albert Bitzius 1797-1854) vor mehr als hundertfünfzig Jahren in urwüchsiger Sprache geschildert hat. Ein Hauch dieses alten Geistes, der im Pfarrer von Lützelflüh (1832-1854) einen mit jedem Winkel des Tales und mit den Seelen der Bewohner gleichermassen vertrauten Interpreten gefunden hat, ist am Emmental haften geblieben. Wir verspüren ihn in den Dörfern und Gehöften, überall in diesem ganzen fruchtbaren Land, das bis in die Vorberge hinein in reichem Segen prangt. Das fleissige Wirken einer Bauernsame, die keine Mühe und Arbeit scheut, hat das Emmental mit seinen Wäldern und Höhen und seiner wohlbestellten Flur zu einer Schmuckkammer unseres Landes werden lassen.
Aber auch in andere Landesgegenden leuchtet dieser Geist hinaus. Wo früher irgendein Bauerhof verwaist oder verlottert war, wo Wiesen und Felder verkümmert lagen, waren es immer wieder Emmentaler Bauernsöhne, welche die Erde erneut bearbeiteten und daraus höchsten Nutzen zogen.
So finden wir in diesem Tal, von Burgdorf mit dem hochgelegenen Zähringerschloss bis hinaus zu den Felsbastionen am Alpenrand, überall dieselbe harmonische Einheit von unverfälschter Natur und boden-ständiger Volkskultur. Es scheint, als dürfe hier weder etwas weggelassen noch etwas hinzugefügt werden. Alles in dieser Gegend, Berg und Tal, Wald und Feld, Hof und Dorf, steht an seinem richtigen Platz. Von den Höhen herab aber öffnet sich der Blick zum Alpenkranz und zum Jura, und hier kommt beides, Verbundenheit mit dem engen Tal und Weltoffenheit, in der Emmentaler Natur zum Ausdruck. |